Es kann ja unmöglich Zufall sein, dass die Naturfarbe Grün zugleich jene ist, die im Club mich blendet, in der ich vom Digitalwecker die Uhrzeit ablese und mit dem Marker Textstellen hervorhebe. Die auf Fotografien die Komposition kompliziert, da sie sich so in den Vordergrund drängt. Und genau wie die Außerirdischen, die wir als ansonsten gar nicht allzu distante und umso befremdlichere Aberrationen unserer Selbst zeichnen, sind auch das Erbrochene oder der green screen, dessen Farbgebung schließlich daher rührt, dass ich mich von ihm absondern soll, dezidiert das, von dem ich meine, es nicht zu sein. Grün.
Grün, jene Farbe, die in unserer Bedeutungskultur hier für die Natur steht und da für ihr technologisches, schrilles—kurz: elektrisches—Pendant, steht ein für den verkruxten Winkel, in dem meine Spezies zur (angeblich: gegenüber) der Natur steht, der ich doch eigentlich entspringe.
Ich begrüne mein Leben, bereichere es mit sogenannter (so erkannter) Natur, da mir längst aus dem Sinn geraten ist, dass ich ihr ja selbst angehöre.
Grün ist die neue Lautstärke einer einst leisen, da omni-, doch weder unter- noch überpräsenten Farbe.
Ein Widerspruch haftet an meiner grünen Regenjacke. Verweisen Farbe und Material doch auf eine Natur, die ich in ihrer Form zwar gerne begutachten möge, von deren Tatsächlichkeit ich mich aber mittels dieser shell, deren Technologie mich über die Natur stellt, abschirme. Wenn das Grün meiner Funktionskleidung also die Natur zitiert, dann tut es das vor allem, um an die gelungene Domestizierung, die ich modernes Subjekt hier darbot, zu erinnern. So wird die Landschaft, inmitten der ich mich wiederfinde, ein harmloses wie nunmal auch lebloses Gemälde im Biedermeierzimmer.
Widerspruch reibt und was reibt, ist elektrisch.
Zielt Lila auf (Gender)ambivalenz ab, bedeutet Grün, dessen Bedeutung bislang elastisch blieb, wahre Unschlüssigkeit und Seltsamkeit. Grün ist also in seiner Essenz das, was Lila sich der Blicke allzu bewusst gezielt symbolisiert.
Lassen Sie allein den Unterschied auf sich wirken, den die überholte Farbgebung der BMC Timemachine 01 aus dem Jahr 2022 (Limone) gegenüber dem 2018er-Modell (Zitrone) macht.
𝒩𝒶𝒸𝒽 𝑒𝒾𝓃𝑒𝓇 𝓀𝓊𝓇𝓏𝑒𝓃 𝒰𝓃𝓉𝑒𝓇𝒷𝓇𝑒𝒸𝒽𝓊𝓃𝑔 𝑔𝑒𝒽𝓉 𝑒𝓈 𝑔𝓁𝑒𝒾𝒸𝒽 𝓌𝑒𝒾𝓉𝑒𝓇 ...
Jens Hauser, der der Farbe unserer Zeit ein Lebenswerk widmet, adressiert Grün als die anthropozentrischste aller Farben, da es für ebendas “hyperkompensieren” soll, was der Mensch meint, verloren zu haben. Dass Grün folglich gerade dort anzutreffen ist, wo wir keine Natur mehr erkennen, bedeutet dann auch, dass ausgerechnet die schädlichsten “kapitalistische[n] Mechanismen [sich] die Metapher aneignen und alles grüner machen.”
Jaja, man entsinnt sich Zeiten, in denen Produkte noch grün verpackt waren, wenn sie einen Eindruck von Nachhaltigkeit vermitteln sollten. Inzwischen aber sind uns uns die Marketingstrategien der Konzerne überdrüssig. Ich reagiere allergisch auf grüne Lifestyles, mit denen diese Schlangen mich umgarnen. Produktverpackungen und Werbungen, die den symbolischen Gehalt der Farbe Grün eigennützig auszuschöpfen versuchen, mögen die einzige Domäne meiner Realität darstellen, in der ich mich der grünen Illusion, die mit ihren Widersprüchlichkeiten alles Übrige spannend und elektrisch rendert, ganz und gar nicht mehr gern hingebe.
(Dass ich aber (nicht zuletzt im Zuge einer Geste gen aller möglicher Leugnerei) mich stattdessen an der Wissenschaft und dem Fakt orientiere, wissen die Werbeagenturen leider bereits, und so weicht das greenwashing einem blackandwhitewashing, grüne Fotografien nüchternen Inhaltsangaben und “nicht-Designs”. Mehr dazu allerdings bald.)
𝓛𝑒𝓃𝓃𝒶𝓇𝓉 𝓗𝑜𝓇𝓈𝓉
Appendix
Eine bescheidene Sammlung herausragenden, grünen Bildmaterials, das es unfurtuner Weise nicht in diese Ausgabe schaffte.
etc.
(Ich meine, Sportkleidung und Orthopädisches sind wirklich Posthumanismen für sich … Umso radikaler, ihnen “vormenschliche” Farbe zuzuweisen …)
𝓛𝑒𝓃𝓃𝒶𝓇𝓉 𝓗𝑜𝓇𝓈𝓉