Notizblöcke, Dezember 2022 bis Januar 2023
… da weshalb man Sport ausübt noch Hauptthema war, ich Wien zum Trotz mein Bestes gab, dennoch etwas Gegenwartskultur zu beleuchten, und wiedermal die Fotografie wie auch Amerika erwog
Was mich noch irgendwie beschwichtigt ist der wage Verdacht, dass während alle gefundenen Alternativen sich zwar ungenügend anfühlen, ich unbemerkt dem, das mir genommen ist, dann doch eher doppelt gegenwirke als gar nicht oder halb. Allerdings wären nicht bloß die verlorenen Schritte wieder wettzumachen (auf dem Fahrrad), sondern auch die vergessenen Träume, Charakterzüge, verpassten Nächte, Orte und all das.
Was mir sonst wo jemandes schlechter Geschmack oder Dummheit ist, an der ich mich stoße (wenn eine Bar etwa jene Lieder spielt, die man aus dem Fitnessstudio kennt oder beim Radfahren mich einer anhupt), ist in Amerika bedeutungsreiches Zeichen meiner Zeit, dem ich mich freudig hingebe. Dass die kleinste Nuance “alles sagt”, kennt man sonst bloß aus der Liebe – was mein Faible wohl erklärt.
Je weiter ich mich dehne, umso ferner rückt der Knoten, der gelöst werden will.
Da ihm aufgrund seiner Nachkommenschaft zum natürlichen Sichtfeld das Künstliche nicht vorprogrammiert ist, hat jedes Querformat (und durch es ich als Schöpferin) sich erstmal zu beweisen, während das Hochformat auch ohne Zutun ganz von sich aus künst-lich ist.
Über sich selbst schreibt man ausdrücklich nicht, da man sich für besonders hält, sondern gerade als einer von allen versteht.
Individualität ist dann gegeben, wenn es immerhin persönliche Hintergründe sind, die mich zu den vorgefertigten Lebensstilen führen.
Der Dienstleistungssektor ist dem modernen Subjekt, das vor den üblichen Konsequenzen Fürsorge, Unterbringung usw. so den eigenen Spielraum bewahrt, am heimeligsten.
Die womöglich größte Irritation fürs Schreiben ist der fehlleitende Anspruch, sich selbst überraschen (über-denken) zu müssen. Wer außer Acht lässt, dass der Einblick in eine andere Lebenswelt immer schon an sich Neuwert hat, überdenkt. Fad ist Gedachtes nämlich nur dem, der genötigt war, ihm wie dem Gras beim Wachsen zuzusehen.
Die Ernsthaftigkeit des Querformats, schon aber der bloße Fakt, wieder eine Kamera bei sich zu tragen, stellt sich einer halben Dekade der coolen Gleichgültigkeit gegenüber. Möglich, dass es gerade angesichts einer neuen und ungewohnten politischen Korrektheit war, deren Kriterien uns noch unvertraut waren, dass wir uns unverständlich, demzufolge unangreifbar machten.
Eine Kamera um den Hals tragen ist wie von einer Bewerbung erzählen, deren Erfolg noch unklar ist.
Dasselbe Auge, das mich jetzt so viel kostet, wäre ohne es im Geringsten adaptieren zu müssen genauso dafür aufzuwenden, an Sachen, deren nächstbeste Alternative ich heute noch lokalisiere, selbst zu verdienen.
Ich mag Walter Benjamin zwar bis heute nicht verstehen, inzwischen aber versteht er mich.
Querformat und Kamera jedenfalls signalisieren eine Zuwendung in Richtung jener Realität, die zum allerersten Mal einer Generation nicht gegeben war, sondern nur in Filmen und Geschichten vermittelt worden ist, und die sich diese erst einmal aneignen muss. (Einst war man in die Welt geboren und versuchte, Künstliches zu schaffen, heute ist es umgekehrt und man versucht, die Welt zu erschließen.)
Auf der Dachterrasse jener eigentlich ja nette Weitblick, der mir leider die Wochen nach der Knieoperation bedeutet, in denen ich hier “Luft schnappte”. Menschen vergebe ich leichtfertig, Orten begegne ich nachtragend.
Was mir den Beginn einer neuen Ära bedeutet hätte (die Wiederaufnahme meines Lebens nämlich) bleibt nun doch verwehrt. Ich reise ohne Laufkleidung nach Hamburg.
Im selben Maße, in dem anspruchslosere Formate Ansprüche an mich selbst verringern, verringern sie auch den Wert, den Empfangende darin erwarten und folglich erkennen.
Eine Persona wertet man so sanft wie die Anderen.
Dass ich meinen Körper so spüre, ist ja auch davon nicht zu trennen, dass ich gedanklich und emotional so unberührt bleibe.
Etwas Liniertes gibt sich als mein Therapeut aus.
Was mir hier in Wien noch ein Lächeln entlockt und mich mich selbst endlich mal ein bisschen vergessen lässt, ist allein die Donau, wenn sie still sich streckt und diese eine Auslage auf dem Platz mit der Statue, vor der der Pflasterstein glänzt.
Vergangene Nacht das Telefonat mit einem Supportmitarbeiter in Dallas, Texas, das mich wieder sehnsüchtig stimmte. Ewig her, dass ich ähnlich zuversichtlich einschlief. Und letztens die Weltmeisterschaftskommentatorinnen im BBC. Ich will hier nicht sein.
Wenn im Winter um drei das Rosa im Himmel fast greifbar scheint, das Leben der Krähen in der kahlen Silhouette eines Baums und jenes der Möwen vor graublauem Wasser hingegen unendlich fern …
Bemerkenswerter als jene Wochen, in denen eine Jugendliche zum seltenen Adel wird, der (und deren engsten Freunden) die Welt einmal zu Füßen stehen wird (per Zug in die Provinzhauptstadt, dort mit Buch unterm Arm über die Boulevards ins Café, o.Ä.), sind jene Monate bis Jahre, in denen ein junger Erwachsener dieses Selbstbild, das, da das Selbst ja immer in Relation zur Welt steht, genauso ein Weltbild ist, ganz unbemerkt wieder ablegt. Hat man dann verloren, aufgegeben, sich untergeordnet? Oder darf man hingegen stolz darauf sein, sich endlich als eine von allen zu verstehen, die eigenen “Interessen” und “Kräfte” nicht länger über die sogenannten “Süchte” Anderer zu stellen, die Mall und das Cineplexx nicht mit derselben Einstellung betreten wie diese vermeintlich Anderen den Zoo, etc. – sich also eingereiht zu haben?
Jeden Vormittag bedarf es größtmöglicher körperlicher Anstrengung, mich zurück in die Welt zu holen: Den Körper im Morgensport verausgaben ist eine Art Tauziehen mit dem Himmel …
Ausgerechnet dadurch, dass ich überschüssige Energie am Morgen sportlich verausgabe, um mich folglich auf irgendetwas konzentrieren zu können, bin ich dann ja bereits dem nachgekommen, was heute mein Vorsatz war: Ich war fleißig.
So besteht mein Alltag darin, Fortschritt und Produktivität zu fälschen, ohne dass ich dabei Energie einsparte.
Habe von Freiheit und Wille Inventur genommen, um sie dann letztlich doch für nichts einzusetzen als ebendiesen Test.
Eben wollte ich meinen, ich wüsste noch immer nicht, ob Bewegung mir eine Freiheit (Erlösung) in den Augen bereitet oder im Rücken, doch es ist ja dasselbe, gestaucht sein zwischen den Häusern und gestaucht sein zwischen den Wirbeln.
Lennart, ich bin krank. (Nennenswerte Form, sich selbst zu adressieren.)
Fünfzehn Grad. Das ist kein Neujahr, zumindest kein deutsches. Und das war auch kein Jahr, zumindest nicht meines.
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