Wie Funktionelles aussieht
Es bleibt die eklektische, “kommunenhafte” oder do-it-yourself-Optik, die mir den Weg zur funktionellen Sache weist
1
Bei montbell legt man Paketen Produktbroschüren bei, Rechnungen und Hängeetikette, die wenn man sie ihrer schieren Menge wegen nicht als Verpackungsmaterial verkennt, durch kuriose referenzielle Vielfalt faszinieren. Dann ist es fast, als durchforste ich eine Kiste Postkarten in einem Trödelladen, von denen jede ihre Welt eröffnet. Die commercial invoice wirft mich in die Zeit der Schreibmaschinen zurück; japanischsprachige Garantiekärtchen fliegen mich dorthin; eine Broschüre, die Daunenjacken auf einem bunten Zweiachsendiagramm anordnet (nach rechts hin schwerer werdend, nach oben wärmer), führt mir einen Arbeitstisch vor Augen, an dem ein gesetztes Team Produkte hochwertig wie früher entwirft, und nach all den Jahren noch immer von echter Leidenschaft ergriffen dann auch Grafiken gestaltet, die, nun ja, genauso wie früher, soll heißen, etwas verjährt daherkommen. Nirgends jedenfalls begegne ich Spuren eines heruntergekochten Bildes jener Sorte, wie es anderswo eine Marketingabteilung vollstreckt. Im Hause montbell – auf etwas anderes kann die glückliche Empfängerin des papierenen Kuriositätenkabinetts, Sammelsuriums möglicher Markenidentitäten kaum schließen – nimmt man bloß die Funktion so wirklich ernst. (Nicht nämlich die Hingabe, die dem Rundherum hier genauso gilt, sondern eben die Ernsthaftigkeit, mit der man es anderswo gezielt einsetzt, täten meinem Schluss, ich zahlte hier für die Sache selbst, Abbruch.)
Bei Q36.5 vermitteln unübliche Kommabeträge im Neukaufpreis, dass es keine willkürlich besteuerten Lebensgefühle, noch im größtmöglichen Schwellenpreis selbst ihren Wert findende Luxusgüter sind, für die ich aufkomme. Stattdessen beharrt die unrunde Preisgestaltung, die indem sie Nullen und Neuner meidet, einen guten Grund andeutet (oder vortäuscht), unmissverständlich bis theatralisch auf Einem: darauf nämlich, dass man hier keinen Cent mehr hinterlässt als jenen Preis, der aus der Summe aus Planung, Material, Arbeit und angemessener Profitspanne, die einer gewissenhaften Betreiberin zufließt, sich zusammensetzt. Und gerade dann, wenn dieser Preis nichtsdestotrotz erheblich ist, kann ich aus seiner Unrundheit nur schließen, dass das Team besonders qualifiziert war, der Stofflieferant geprüft, die Produktionsstätte traditionsreich, ein lokaler Handwerksbetrieb – und das Produkt demnach ein wahrhaftiges Utensil.
Bei La Sportiva stechen grelle Kombinationen der drei Grundtöne ins Auge, die an sich ja schon ungelenkig sind; säumen übertriebene Applikationen und Texturen das Obermaterial; umrandet “geiles” Carbonimitat die Ferse. Aus dem Reichtum an Willkürlichem und Unnützem schließe ich jedoch keineswegs, dass der Schuh als Ganzes genauso zweckbefreit sei. Stattdessen werde ich finden, dass kein Gedankenbild als das jenes Zappelphilipps, der für die fauvistische Optik verantwortlich scheint, meine antagonistische Herleitung kräftiger anregt, dass im Hause La Sportiva alles Wissen der Funktion gilt, während man den Designstuhl, wie soll man sagen, nächstbestens besetzte.
Keep reading with a 7-day free trial
Subscribe to Lennart Horst's internet newsletter to keep reading this post and get 7 days of free access to the full post archives.