Die Neuartigkeit einer Zeit, in der die üblichsten fotografischen Begleiterscheinungen (Tiefenschärfe, Verwacklungsunschärfe, Blitzlicht) selten machen, und in der allein schon das Querformat nostalgisch stimmt, muss man einmal auf sich wirken lassen.
Dass ihm aufgrund seiner Abstammung vom natürlichen Blick das Künstliche nicht vorprogrammiert ist, hob das Querformat lange einen Schwierigkeitsgrad über das Hochformat, das auch ohne mein Zutun schon künst-lich ist. Sehnt sich aber eine Generation nicht nach Entfremdung, sondern Weltverbundenheit, ist es wiederum das Querformat, das ganz von sich aus zu ihr spricht. (Zumal das Querformat auch einfach selten geworden ist.)
Schon eine Kamera als solche um den Hals zu tragen, wie man es jetzt wieder tut,1 ist eine Stellungnahme und Verletzlichkeit, so wie eben alles, das auch nur ein wenig ernst ist, Angriffsfläche bietet. In diesem Sinne ist sich mit einem Fotoapparat zu zeigen, wie von einer Bewerbung um eine kompetitive Stelle zu erzählen, deren Erfolg noch unklar ist.
Die Ernsthaftigkeit der Digitalkamera, aber auch neuer Motive stellt sich einer halben Dekade cooler Gleichgültigkeit gegenüber. War es angesichts einer neuen politischen Sensibilität, deren Bewertungskriterien wir noch unvertraut waren, dass wir uns unverständlich, demzufolge unangreifbar machten, indem wir bloß vorüberziehende Handyfotografien teilten, mittels Superzoom einen blassen, verpixelten Trennfilm zwischen uns und die Welt einschoben, auch durch die fernrohrartige Brennweite an sich unsere Distanz bezeugten, et cetera?
Fünf Jahre lang jedenfalls stellte die Fotografie benommen fest, dass die Welt einem entgleitet. Heute versichert sie warm, dass die Welt noch da ist, und dass man sich nach wie vor in ihr befindet.
Was passiert ist? Eins, eine Generation hat Politik und Werte zurück in die eigene Hand genommen, anstatt den Geschehnissen verständnislos beizuwohnen. Jene Diskurse um Klima und Identität, denen wir 2018 noch verunsichert nachzukommen versuchten, werden heute eigenständig vorangetrieben. (Daher ein neuer Mut zum Ernst.) Zwei, eine Generation, der eine Form ihrer Jugend genommen war, stöbert nostalgisch durch jene Fotografien, die 2010, als man noch “in der Welt war,” auf Tumblr liegengelassen worden waren. (Daher jetzt wieder Retrokitsch (auch, wenn dieser vielleicht ein wenig weit zurückgreift).) Und drei, eine gleichzeitige räumliche Begrenzung wie globale Vernetzung hat ein Tauziehen der Dimensionen veranstaltet, dem allein durch eine Resozialisierung von Mensch und unmittelbarer Umgebung entgegenzuwirken ist.2 Rückwärts gesprochen: “Hier bin ich, und dies hier ist die Welt, und ich bin ein Teil von ihr.”3
Witzigerweise betreibt Wolfgang Tillmans genau das schon seit den Neunzigern.
Dadurch abgelöst sieht sich ein “hier bin ich, und dort hinten ist die Welt.”